SCIP-Datenbank für bedenkliche Stoffe: Mehr Informationen für besseres Recycling?Die Europäischen Chemikalienbehörde (ECHA) richtet gegenwärtig die neue SCIP-Datenbank ein. Sie will „substances of concern in products“ auflisten und zahlreiche Informationen über „bedenkliche Stoffe“ in Produkten enthalten. Ab Januar 2021 sollen diese Kenntnisse auch Entsorgungsunternehmen zur Verfügung stehen, damit derart gefährliche Materialien endgültig aus dem Wirtschaftskreislauf ausgeschleust werden.

SCIP-Datenbank: Mehr Informationen für besseres Recycling?

Zur Datenbeschaffung sind Hersteller komplexer und auch weniger aufwändiger Produkte entlang vielschichtiger und multinationaler Lieferketten angehalten. Die rechtliche Grundlage zur Übermittlung von Informationen an die ECHA schafft die Abfallrahmenrichtlinie (AbfRRL). Die Erstellung einer Kandidatenliste bedenklicher oder besorgniserregender Stoffe sieht die REACH-Verordnung vor. Demnach müssen Unternehmen, die Erzeugnisse mit besorgniserregenden Stoffen (SVHC – substances of very high concern) in einer Konzentration von mehr als 0,1 Gewichtsprozent (w/w) auf den EU-Markt bringen, der ECHA ab Anfang Januar 2021 Informationen zu diesen Artikeln vorlegen. Das erfordert eine sehr aufwändige Informationsbeschaffung. Ob sich deren Aufwand allerdings rentiert, ist fraglich.

Datensammlung: aufwändig
Welchen Einsatz solche Datenbanken benötigen, verdeutlichen Beispiele aus der Automobil- und der Elektroindustrie. Die Automobilwirtschaft setzt seit Inkrafttreten der ersten Regelungen zum Altfahrzeugrecycling auf IMDS, das International Material Data System. Es umfasst etwa 14.000 Stoffe, seine Etablierung verschlang rund zehn Milliarden Euro, und es wird von etwa 130.000 Nutzern aufgerufen. Auf SCIP-Ebene übertragen, hieße das die Erfassung und Übermittlung aller notwendigen svhc-Informationen von Tausenden einzelner betroffener Artikel pro Fahrzeug innerhalb und außerhalb der EU. Für diese aufwändige Datensammlung zu besorgniserregenden Stoffen rechnet die europäische Automobilindustrie mit mehreren Milliarden Euro, weil die derzeitige IMDS-Struktur nicht nutzbar ist.

Zusammensetzung: unüberschaubar
Grundsätzliche Probleme mit der Informationstiefe treten im Bereich der Elektro- und Elektronikindustrie am deutlichsten zutage. Hier enthalten Leiterplatten – gemäß REACH „Erzeugnisse“ – typischerweise mehrere hundert Bestückpositionen mit einer Vielzahl von elektronischen Komponenten, zum größten Teil mit einem Gewicht von jeweils zwei Milligramm bis fünf Gramm, die vielfach gar keine Identifikationsmerkmale aufweisen.

Multiple Sourcing
Hinzu kommt, dass es aufgrund von „Multiple Sourcing“ mehrere Lieferanten pro Bestückposition gibt. Ein Mitglied des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie hat kürzlich Berechnungen angestellt und 2.651 Endprodukte identifiziert, die Messingbauteile mit geringen Anteilen des svhc-Stoffs Blei enthalten. Aus den Teileverwendungen dieser Bauteile in Endprodukten ergeben sich 426.370 Kombinationen, die in der Datenbank anzulegen wären. Für alle betroffenen Teile und Stoffe müsste ein Unternehmen ein Jahr lang insgesamt 23 Personen beschäftigen, um jede Erzeugnisvariante einmalig in der SCIP-Datenbank abzubilden.

Informationen: wenig hilfreich
Ebenso wenig erlaubt es die Praxis der Recyclingwirtschaft im Tagesgeschäft, für jedes Bauteil beispielsweise eines Fahrzeugs Einzelstoffinformationen über bedenkliche Stoffe zu ermitteln. Um eine wirtschaftliche Verwertung zu gewährleisten, ist ein hoher Durchsatz von Hunderten verschiedener Fahrzeugmodelle unterschiedlichster Zusammensetzung nötig. Dies wäre bei Ausschleusung einzelner „Mini-Erzeugnisse“ wie Schrauben oder Lötkontakten zukünftig nicht mehr möglich.

Nicht funktionsfähig
Bei komplexen elektronischen Geräten ist der besonders besorgniserregende Stoff meist in sehr geringen Mengen in kleinen Teilpartikeln des Produkts enthalten. Detaillierte Informationen über diese winzigen Teilartikel sind für die Recycler wenig hilfreich, da die Kenntnis eines Vorhandenseins von svhc-Stoffen in der Regel den endgültigen, oft metallurgischen Behandlungsprozess nicht verändern würde. Manche svhc-Stoffe, wie beispielsweise organische Kohlenwasserstoffverbindungen, überstehen den Recyclingprozess gar nicht, sondern werden durch die hohen Prozesstemperaturen vernichtet, oder sie gehen wie Blei als Additiv für Stahllegierungen im Recyclingvorgang in einen gasförmigen Aggregatzustand über und verbleiben nicht in der Schmelze.

Jedoch obligatorisch Informationen einzureichen
Trotz dieser Bedenken sind Hersteller oder Lieferanten von svhc-haltigen Erzeugnissen ab Januar 2021 zur Übermittlung von Informationen in die SCIP-Datenbank verpflichtet. Die Chancen einer Änderung oder gar eines Verzichts auf eine SCIP-Datenbank sind derzeit als extrem gering einzustufen. Deshalb sind produzierende Unternehmen gut beraten, sich damit zu befassen.

Verpflichtung: vielfach negiert
Doch ist aus heutiger Sicht mehr als fraglich, ob die Unterrichtung und Verpflichtung alle betroffenen Unternehmen in absehbarer Zeit angesichts aktueller Wirtschaftskrise und langjähriger Erfahrungen mit REACH gelingt. In einem Marktüberwachungsprogramm wurde beispielsweise die seit 2007 bestehende Pflicht zur Anwendung des Artikel 33 überprüft, die bereits eine Informationspflicht (Notifizierung) über besorgniserregende Stoffe in der Lieferkette enthält. In 15 Ländern wurde untersucht, ob Erzeugnishersteller ihrer Informationspflicht zu besonders besorgniserregenden Stoffen (svhc) nachkommen. Das Ergebnis nach einem Dutzend Jahren ist erschreckend: Es gibt eine hohe Verstoßrate von über 80 Prozent. Das bedeutet, dass mehr als Dreiviertel der untersuchten Unternehmen keine notwendigen Informationen zu svhc von den Lieferanten erhalten beziehungsweise sie nicht an Kunden weitergeben.

Verwendung der SCIP-Datenbank durch Recycler fraglich
Die Nutzung der SCIP-Datenbank durch die Recycler ist daher mehr als fraglich und wird vermutlich nicht dazu beitragen können, „mehr Licht ins Dunkel der Schadstoffe in Abfällen“ zu bringen. Recyclingunternehmen arbeiten im Tonnenmaßstab, der Input in die Aufbereitungsanlagen wird gespeist durch viele verschiedene Modelle, und selbst bei einem etwas einfacheren Stoffstrom wie Verpackungen haben es die Recycler nicht viel leichter. Zudem werden Artikelbezeichnungen nicht an den Entsorger weiter kommuniziert, zumal beispielsweise Sortieranlagen für Verpackungen nicht darauf ausgerichtet sind, nach Artikelnummern zu sortieren, sondern nach Farbe, Kunststoffart und ähnlichem. Der Verwerter wird in der Regel keine Zeit haben, sich um weitergehende Informationen zu kümmern, wenn er in kurzer Zeit Umsätze generieren muss.

Statt mehr Beschränkungen: besseres Recycling
Um das „Schadstoffproblem“ in Abfällen zu lösen, ist mehr Vertrauen in die Wirtschaft notwendig. Schon jetzt gibt es eine Vielzahl von Schadstoffbeschränkungen im Chemikalien-, Stoff- und Abfallrecht, so unter anderem die Spielzeug-, Altfahrzeug-, Elektronikschrott- und Verpackungsrichtlinien, die RoHS-Richtlinie sowie Verordnungen zu REACH und POP. Schon heute gibt es kaum Fälle, in denen verwertete Abfälle zu einem Schadstoffproblem in der Produktion geführt haben. Heute besteht die viel größere Herausforderung darin, mehr Abfälle in ein hochwertiges Recycling zu bringen, um mehr vor allem nicht erneuerbare Ressourcen einzusparen. Im schlimmsten Fall wird SCIP dazu führen, dass noch mehr Schadstoffausschleusung im Recycling gefordert wird, was dann zu noch mehr Beseitigung von Abfallströmen führt. Damit gehen hohe Mengen an wertvollen Ressourcen verloren, die auch für einen erfolgreichen Klimaschutz notwendig wären.

Verfolgung einer „Tox-free-Environment“
Deshalb muss sich die EU davon verabschieden, eine komplett schadstofffreie Recyclingwirtschaft zu haben und ein „Tox-Free-Environment“ weiter zu verfolgen. Gerade heute – in Zeiten von absehbarer massiver Wirtschafts- und Rohstoffkrise sowie drohender Klimakatastrophe – ist es nicht angebracht, Milliarden von Euro in eine neue, voraussichtlich nicht funktionierende Datenbank zu stecken. Vielmehr muss mit viel Augenmaß zukünftig abgewogen werden, wie Klimagasreduktion und Ressourcenschonung innerhalb der EU geregelt werden können. Zusätzliche Bürden für die Wirtschaft, die hohe Kosten verursachen und wenig Nutzen bringen und zudem nicht vollzugsfähig sind, werden derzeit nicht gebraucht.

Der vorstehende Text ist die Kurzfassung eines Artikels von Dr. Dipl.Chem. Beate Kummer, Fachtoxikologin, Umweltauditorin sowie Dozentin.

Quelle: EU recycling
Anmelden Digital Recycling Expo and Conference for Circular Economy and Waste Management van 31 augustus tot 5 september 2020

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